Die Winde künden es seit Tagen an. Von Spätsommer ist immer wieder die Rede und ich sitze an meinem Kraftplatz und grübele: „Spätsommer … Habe ich etwas verpasst?“. Für mich ist es Herbstbeginn, die Sonne scheint seltener, der Wind, der Regen nehmen zu. Die Herbststürme künden sich an. Ich zucke mit den Schultern und denke mir „okay, wenn es für euch der Spätsommer ist, mir ist es gleich“.
Im Herbst tragen Rituale eine andere Energie. Sie sind viel tiefer, wilder, dunkler. Das feine Glitzern von Fäden und der Tau wird am frühen Morgen sichtbarer. Eigentlich sind sie die ganze Zeit da, aber unser menschliches Auge vermag sie nicht wahrzunehmen, erst jetzt, mit Beginn des Herbstes, erinnern sich unsere Augen an die Zyklen der Natur. Es ist noch ein wenig Zeit bis zu Samhain, doch das Wispern der AhnInnen wird bereits immer stärker. Wie ich diese Zeit liebe – und ja, die Sonne vermag mir manchmal noch die Nasenspitze kitzeln, manches Mal sogar so, dass ich niese. Doch ich beginne immer mehr, mich zurückzuziehen, das Feuer zu entzünden und ganz nah mit meiner Gefährtin, der Trommel, zusammenzurücken. Am uralten Feuer vernehme ich das Rascheln von Röcken, Kleidern und Hosen, sanft streift der Wind über meine Wangen. Ich lausche dem Wispern der Bäume, unseren ältesten Weggefährten und erinnere mich daran, wie ich mich damals in einem Seminar das erste Mal seit Jahren wieder bewusst mit Großmutter Baum verband und ihrem Atem, ihren Geschichten lauschte. Um diese Jahreszeit herum, also im Herbst.
Das Flüstern, das Reden, das Lachen, der Rhythmus der Trommeln der Frauen, die mit mir am uralten Feuer sitzen, wie auch das rhythmische, wilde Aufstampfen von Füßen umhüllt und trägt mich weit hinaus in diese Anderswelt. Ein Mantel der Erinnerung, der uralten Magie und der Urkraft der Weiblichkeit legt sich sanft um mich. Die Rabenfrau, die Knochenfrau, diese unbändig wilde, weibliche Kraft pocht tief in mir. Magie liegt in der Luft, ganz gleich, ob am helllichten Tage oder in der Nacht. Sanft, tief und unglaublich stark sinken die Lieder der Frauen, die Rhythmen der großen Trommel in mein Sein. Verzaubert. Wissend. Zutiefst verbunden. Wir Frauen lächeln uns im Kreise zu und Frau Knochen singt ihr uraltes Lied, schaut mich kurz an und zwinkert mir mit einem verschmitzten Lächeln zu. Bald lässt sie mich noch wissen. Ja, bald ist es wieder so weit.
Doch jetzt hat sich das Jahresrad erneut gedreht, es ist die Zeit von Mabon, Alban Elfed, vom Herbstblot. Für manche von uns, wie auch für mich der Beginn eines neuen JahresZyklus. Die Zeit, in der wir dankend durch unser Land gehen und erkennen, was wir alles in diesem Jahr vom Land geschenkt bekommen haben. Aber auch, was wir loslassen durften und mussten. Welche Abschiede waren not-wendig, ganz gleich, ob wir das gut fanden?
Es ist das Korn, das sich in unserem Gebäck wiederfindet. Es sind die Herbstfrüchte, wie Pflaumen, Zwetschgen, Äpfel, Birnen und Aprikosen. Es sind die ersten Kürbisse und Kartoffeln, die in unseren Küchen Einzug halten. Kleine Sträuße aus Ähren, Blumen und so manchen Beeren hängen an den Wänden oder stehen als Dekoration auf der Erntetafel. Der Duft von Zimtstangen, Honig und Süßem legt sich wie ein wohliger Mantel in die Häuser und Wohnungen. In dieser Zeit laden wir auch das kleine Volk zu uns ein und stellen für sie so manche Gaben bereit. Wir dekorieren unsere Häuser- und Wohnungstüren, zünden die ersten Kerzen am frühen Abend an und laden bereits zu dieser Zeit unsere AhnInnen mit an unseren Tisch.
Einladung des Herbstes
An unserer Erntetafel oder unserem Erntealtar sitzen wir gemeinsam mit unseren Liebsten und verbringen Zeit mit ihnen. Speis und Trank ist ausreichend da. Verbunden mit einem Dank ans Land, an Mutter Erde, an das kleine Volk, an die Kräfte, an Menschen, die wir gehen lassen mussten oder mit denen wir keine Verbindung mehr fühlen.
Ein Beginn der Phase des Innehaltens, des Orakelns. Eine Zeit, in der ich tief in mich hineinzuhorchen beginne. Was und wen nehme ich mit in den neuen Zyklus? Von wem oder was ist es an der Zeit, sich wirklich zu verabschieden? Wer hat keinen Platz mehr in meinem inneren Circle? Was kann ich loslassen und ja, was muss ich sogar loslassen?
Das ist die Qualität dieser Zeit und es ist kein „Ach, ich lass halt einfach mal los“, nein, bei weitem nicht, es ist vielmehr eine Aufforderung, eine Einladung, tief ins weibliche Gewebe einzutauchen und mit wild aufstampfendem Fuße das Alte wirklich loszulassen. Mit all dem Schmerz, mancher Wehmut, so manchem Schrei und so manchen Tränen.
Es ist eine Zeit der Dankbarkeit, tiefverwoben mit unserem Land, mit Mutter Erde, eben aber auch eine Zeit der Ernte, des Loslassens. Einfach die Zeit für Abschiedsrituale.
Text © by AhnenFrau
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